Donnerstag, 26. November 2009

Heute vor 60 Jahren......



.. am 26. November 1949 gaben sich meine Eltern in einer kleinen Kirche im Spreewald das Ja-Wort.

Es waren schwere Zeiten für eine Hochzeitsfeier.
In der frisch gegründeten DDR wurden immer noch Lebensmittelmarken ausgegeben.
Viele wichtige Nahrungsmittel waren rationiert.
Zucker, Kaffee, Schokolade, Backzutaten, Likörchen und andere Dinge waren kaum zu beschaffen.
In diesen Zeiten kamen die vielen Gäste schließlich nicht nur zum Gratulieren, sondern vor allem, um sich wieder einmal richtig an guten Sachen satt zu essen.

Im November waren alle Ernten eingefahren, so auch der Meerrettich.

Jeden Tag im Morgengrauen stiegen meine Eltern in den ersten Zug nach Berlin, mit so viel Meerrettich, Eiern, Obst und anderen begehrten Waren beladen, wie sie nur tragen konnten.
Auf dem Schwarzmarkt konnte man dafür alles bekommen, was für ein rauschendes Fest nötig war.

Die alteingesessenen Juden, die bereits nach Berlin zurückgekehrt waren, erwiesen sich als besonders dankbare Kunden. Meerrettich spielt in der jüdischen Küche eine wichtige Rolle.

Alles so verdiente Geld und einige Naturalien wanderten in eine angesehene Maßschneiderei am Ku-Damm.
Das Tuch für den Smoking wurde in Aachen bestellt, Handschuhe und Schleier in Paris, der Zylinder in Hannover usw.

Eines Tages, meine Eltern waren getrennt unterwegs, erschien mein Vater lachend am Treffpunkt. Er hatte den ganzen Rucksack voller feinster Schokolade und anderer Leckereien.
Meine Mama dachte, er hätte wohl den Verstand verloren. Aber nein - er hatte an einem Glücksrad gedreht und und den Jackpot gewonnen. Unbezahlbare Köstlichkeiten!
Die Hochzeitstorte soll fantastisch gewesen sein.


Bei all diesem Einsatz musste es ja eine wunderschöne Hochzeit mit vielen, vielen satten und glücklichen Gästen werden.



Einen Wermutstropfen gab es natürlich.
Meine Mutter hatte einen Puter aufgezogen, der sehr an ihr hing und ihr wie ein Hund auf Schritt und Tritt folgte.
Aber die alten Tanten, die für die Küche zuständig waren, ließen sich nicht einmal von der Drohung, die Hochzeit platzen zu lassen, erweichen. Und so wurde dem armen Puter zum Wohle der Gäste der Garaus gemacht.
Am Tage nach der Hochzeit war das große Aufräumen angesagt. Und was lag in einer Schüssel unter einem Stapel von Töpfen?
Richtig. Der küchenfertige Puter. Meine Mama war noch Jahrzehnter später untröstlich.


Bald wackelten ihr ja andere Geschöpfe hinterher.
Nach meinem Bruder und meiner ältesten Schwester war die Familienplanung eigentlich abgeschlossen.
Aber meine zweitälteste Schwester, das sturste Menschenkind auf Erden, ließ sich von anderer Leute Plänen nicht abhalten.

Ein paar Jahre später meldete sich dann noch jemand an. Es war ganz sicher. Es konnte nur ein gaaanz kräftiger Junge werden.

Ja von wegen! Zwei winzig kleine Mädchen. Mein Schwesterchen und ich.
Eigentlich sollten wir Robert heißen.
Dann war Schluss mit Zuwachs und das Haus, das inzwischen einen großen Anbau bekommen hatte, war voll genug.

Bis heute freue ich mich, dass bei meiner eigenen Hochzeit meine beiden Eltern anwesend waren.

Mein Vater starb nur ein paar Wochen später ganz plötzlich und ohne Vorwarnung kurz vor der Geburt meiner Tochter, auf die er sich so gefreut hat. Meine Mutter folgte ihm sechs Jahre später nach langer Krankheit.


Papa wäre sicher begeistert von Internet und Bloggs und der ganzen Medienvielfalt von heute.

Und dass seine Geschichten erzählt werden, würde ihn besonders freuen.
Auch wenn er das viel besser konnte als ich.

4 Kommentare:

  1. Das hast du wunderschön erzählt,Netti.
    Schade, dass deine Eltern diesen Tag nicht mehr erleben durften.

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  2. Danke Marit.
    Es ist wahrscheinlich immer zu früh, seine Eltern zu verlieren.
    Ich finde, so ein Ausflug in die Vergangenheit, hilft im stressigen Alltag, mal wieder kurz inne zu halten und den Blick schweifen zu lassen.

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  3. ja, wie Marit es schon gesagt hat, eine wunderschöne Erzählung.
    Meine Eltern haben es geschafft, 64 Jahre bei einander zu sein, im Sommer ist mein Vater verstorben und nun lacht er mich vom Bild her an, war ein prima Typ, vermisse ihn mehr als ich dachte.
    Die Geschichten vom heiraten, kurz nach dem Krieg kenne ich gut, die Eltern habens ja oft erzählt.

    liebe Grüße Dörte

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  4. Oh, wie schön!! Ganz toll erzählt! Das kann man sich ja heute gar nicht mehr vorstellen... man sollte oft etwas mehr dankbar sein, für das was wir uns heutzutage "einfach" so kaufen können. Schade, dass Dein Papa nicht bei der Geburt Deiner Tochter dabei sein konnte.

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